Tach zusammen!
Viele Pilgerneulinge sind häufig unsicher, ob sie den Jakobsweg tatsächlich allein in Angriff nehmen sollen oder lieber doch nicht. Sie haben Angst, trauen sich eine solch große Reise ohne Unterstützung nicht zu. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen:
Hab Mut zum Alleingang!
Und zwar aus den 10 folgenden Gründen:
- Auf dem Jakobsweg bist du nur allein, wenn du es möchtest. Glaubst du nicht? Ist aber so.
Ich laufe schon aus dem Grunde oft allein, weil kaum ein anderer Pilger so langsam ist wie ich. Aber immer wieder kommen Pilger vorbei oder mir sogar entgegen (ja – auch diese Verrückten gibt es), sodass ich auch meist einen anderen Menschen um mich habe, wenn ich gerade doch jemanden zum Reden oder Motivieren brauche. 😉 - Spanien (ich setze einfach mal voraus, dass du dort zuerst laufen möchtest) ist nicht die Wüste oder der Urwald. Spanien ist Zivilisation. Und die paar Kilometer, auf denen du kein Café mit frisch gepresstem Orangensaft und damit auch Menschen findest, die schaffst du auch locker.
- Wenn du allein läufst, ist es oft einfacher, neue Bekanntschaften zu schließen, da du nicht als Teil einer ohnehin schon existierenden Gruppe wahrgenommen wirst.
- Du kannst dein eigenes Tempo laufen. Brichst du mit einem Freund oder deinem Partner auf, mit dem du vielleicht sogar vorher noch nicht einmal unterwegs gewesen bist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihr beide eine sehr unterschiedliche Schrittlänge oder ein unterschiedliches Tempo habt. Auf Dauer ist das vor allem eines: anstrengend. Läufst du dagegen allein, übernimmst du dich nicht, denn du musst niemandem hinterherhetzen, der viel schneller ist als du. Und bist du der schnelle Läufer, dann musst du dich nicht zurückhalten, nur weil du ein „Anhängsel“ dabei hast.
- Du bist frei! Denn du allein kannst jeden Tag bestimmen, wie weit du laufen willst, ohne dich nach jemand anderem richten zu müssen. Weht der Wind dich nur ein Kaff weiter – was soll’s? Du schaffst heute 30 Kilometer? Dann nur zu, denn du kannst Gas geben – weil du keine Kompromisse eingehen musst.
- Als einzelner Pilger findest du immer ein Bett. 😉
- Du verlierst die Angst vor dem Alleinsein. Vielleicht verlierst du dadurch tatsächlich auch die Angst vor sehr vielen anderen Dingen. Zum Beispiel davor, dich mit dir selbst zu beschäftigen und mal auf deine Gefühle zu hören. Denn dafür hast du auf dem Jakobsweg Zeit. Und wenn du dir Zeit für dich selbst nimmst, dann stehen die Chancen gut, dass du auch lernst, mit ganz anderen Ängsten umzugehen, als nur mit der Angst vor dem Alleinsein.
- Du erlebst vermutlich das abendliche Zusammentreffen mit anderen Pilgern in den Herbergen viel intensiver, weißt es mehr zu schätzen, wenn du vorher auch das Alleinsein ausgekostet hast. Gerade diese Abwechslung bringt die Würze rein.
- Du bist viel aufmerksamer unterwegs. Ist doch klar: Niemand lenkt dich von deinem Weg, deiner Umwelt und dir selbst ab. Die kleinen Dinge, die Freude bringen, entdeckst du eher, wenn du dich nicht andauernd auf ein Gespräch konzentrieren musst. Und gerade diese kleinen Dinge, die dich zutiefst beeindrucken können, werden vermutlich noch viel länger auch in deinem „Leben nach dem Weg“ nachhallen.
Und mit ständiger Begleitung hättest du sie vielleicht nicht einmal entdeckt… - Und wenn du dann tatsächlich am Ziel angekommen bist und – halb lachend, halb weinend – vor der Kathedrale in Santiago stehst, was glaubst du, wie viel Kraft das gibt, dass du diesen Weg so ganz ohne Auffangnetz und doppelten Boden gelaufen bist?! Ja, es gibt dir unglaublich viel Kraft! Es stärkt dein Selbstvertrauen, deinen Mut, deinen Glauben daran, dass du ziemlich viel erreichen kannst, wenn du nur willst.
Ist das nicht ein guter Grund, deine Angst in den Wind zu schießen?
Dann trau dich und mach dich ruhig allein auf den Weg.
Du schaffst das. Weil DU es möchtest.
Also: Buen Camino!
Falls du Fragen zum Jakobsweg hast oder dazu, wie es ist, allein auf diesem unterwegs zu sein, dann melde dich gern.
Ich helfe dir gern dabei, deine Unklarheiten zu beseitigen!
Ach und übrigens: Die verdiente Party mit anderen Pilgern würde ich allerdings nicht zu Gunsten des Alleinseins ausfallen lassen… 😉
LG
chaoskirsche
P.S.: Hier gibt’s mehr Tipps zum Weg von Porto nach Santiago.
Und zum Träumen hier noch ein paar Bilder von meinen drei ersten Wegen allein:
Hallo Iris, ich habe erst neulich deinen Blog realisiert. Er ist sehr gut gemacht! Das Leben ist ein einziger Camino, das ist mir auch so langsam klar geworden. Vor einigen Tagen traf ich einen Mann, der sich auf seinen allerletzten Weg machte. Wir hatten ein kurzes, tiefes Gespräch. Er verabschiedete sich mit den Worten: „Den letzten Weg geht man allein, da kommt keiner mit!“ Seine Worte waren klar und ohne jede Verbitterung oder Angst. Ich war tief berührt über sein Bewusstsein und habe jetzt auch ein weiteres Stück Lebensweisheit. Jetzt weiß ich, dass er mir ein großes Geschenk gemacht hat.
Hi Manfred!
Ich hatte dir ja bereits per Mail geantwortet, aber übersehen, dass das hier gar nicht erscheint ;))
Daher noch einmal ganz liebe Grüße. Schön, dass dir der Blog gefällt. Mit dem Camino – da hast du Recht. Dass er im Leben wiederzufinden ist bzw. dass das Leben selbst ein einziger großer Camino ist, habe ich auch erst nach meiner Rückkehr realisiert… 😉 Dir alles Liebe und allzeit buen camino! Kirsche / Iris